Gleise in der Rat-Beil Straße

Die voraussichtlich im Jahre 2011 anstehende Eröffnung der Linie 18 von Preungesheim zum Lokalbahnhof erinnert uns daran, dass vor über 100 Jahren schon einmal eine Vorortbahn über die Friedberger Landstraße nach Preungesheim gebaut werden sollte und dass es auf einem Teil der Neubaustrecke schon einmal Straßenbahnbetrieb gab, und zwar auf der Teilstrecke von der Rohrbachstraße bis zur Rat-Beil-Straße.
Am 17.12.1904 war eine elektrische Straßenbahnlinie vom Scheffeleck durch die Scheffelstraße und die Friedberger Landstraße zu den Friedhöfen eröffnet worden. Sie nahm allerdings nicht den direkten Weg durch die Spohrstraße, sondern einen Umweg über den Nibelungenplatz und die Friedberger Landstraße und erhielt in der Straße “An den Friedhöfen”, der späteren “Rat-Beil-Straße” [1], eine Endhaltestelle. Die Strecke führte zweigleisig ungefähr bis zum Haus Rat-Beil-Straße Nr. 13, das nördliche Gleis führte ein paar Meter weiter bis über die Einmündung Kleiststraße hinaus. Michelke/Jeanmarie [2] zeigen die Endhaltestelle auf dem Bild Nr. 70.
 

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Bauarbeiten für die 18 am Nibelungenplatz

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Fluchtlinienplan F-1489 vom 10.8.1939           ©Stadtplanungsamt

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Bauarbeiten für “die 18” in der Friedberger Landstr.  Ecke Rat-Beil Str.

 

Ursprünglich wurden die drei Haltestellen Nibelungenplatz, Rat-Beil-Straße/Friedberger Landstraße und Rat-Beil-Straße/Ing.-Schule von der Linie „Rot/Grün“ bedient, vom 15.10.1915 bis 1.3.1951 von der Linie 8 und danach bis zur Stilllegung am 27.5.1961 von der Linie 11.
Mit der Einstellung des Betriebs im Jahr 1961 ging ein fast 57-jähriges Provisorium zu Ende; Provisorium deshalb, weil die Strecke eigentlich zur Verlängerung nach Preungesheim vorgesehen war; wäre sie primär für die Anbindung des Friedhofs gedacht gewesen, wäre sie vermutlich gleich durch die Spohrstraße geführt worden, oder doch wenigstens bis zum Portal an der Spohrstraße. Stattdessen endete sie etwas unmotiviert über zweihundert Meter vom Portal und der Gruftengasse entfernt.
Der Grund für die Stilllegung der Strecke dürfte letztlich gewesen sein, dass sie aufgrund einer Planänderung ihren ursprünglichen Zweck, die Anbindung von Preungesheim an die Straßenbahn, verloren hatte und unrentabel geworden war.
Nachdem der Magistrat den Bau einer Vorortbahn von der Friedberger Landstraße – Preungesheim – Bonames - Nieder- und Obereschbach nach Homburg wegen der sich abzeichnenden Konkurrenz zur Strecke Heddernheim - Homburg aufgegeben hatte (ISG, Magistatsakte R 1762, Antrag des Magistrats vom 10.5.1898 und Schreiben des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 4.3.1899), beschränkte er seine Planung auf die Anbindung von Preungesheim, dessen Eingemeindung seit 1900 in Rede stand.
Als zweckmäßige Trace würde für die Bahn eine Linie in Betracht kommen, die als Verlängerung der bestehenden Linie 8 östlich am Friedhof vorbei, in annähernd gerader nördlicher Richtung nach der Homburger Landstraße führt, derart, daß diese in der Nähe des Straßenknies am Anfang des bebauten Teils Preungesheim erreicht.“ (ISG, Magistratsakte R1753, Bericht des Elektrizitäts- und Bahnamtes vom 29.8.1910, den Bau einer Kleinbahn nach Preungesheim betr.).
 

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Die rote Linie zeigt das “Provisorium. Die gelbe gestrichelte Linie zeigt die geplante aber nie verwiklichte Trasse.

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Auf dem Luftbild ist der Beginn der geplanten Trasse  in Form des Grundstücks auf dem ein Autohaus residiert gut zu erkennen.

Alte Ravenstein-Stadtpläne aus der Zeit vor 1910 zeigen in dem Bereich zwischen der damaligen Ostmauer des Hauptfriedhofs und der Friedberger Landstraße ein projektiertes Wohnviertel. Von der projektierten Nord-Süd-Straße (gestrichelte gelbe Linie auf dem linken Foto) ist nur das Südende anscheinend freigelegt worden, es ist die städtbaulich kurios anmutende Ecke Rat-Beil-Straße/Friedberger Landstraße, auf der ein Autohaus seinen Sitz hat (siehe rechtes Foto).

Dringlichkeit erhielt die Streckenverlängerung durch den Eingemeindungsvertrag mit der Landgemeinde Preungesheim, worin sich die Stadt Frankfurt verpflichtet hatte, binnen eineinhalb Jahren nach Inkrafttreten, also bis zum 31.10.1911 die Straßenbahn nach Preungesheim zu verlängern. Da sich die zweckmäßigste Trassenführung, die gerade Linie nach Norden jedoch auf unabsehbare Zeit nicht verwirklichen ließ, wurde - um nicht vertragsbrüchig zu werden - eine provisorische Alternative, sozusagen „Plan B“ entworfen und gebaut.
Eine solche andere Lösung ist ohne erhebliche Mehrkosten tatsächlich möglich und daher der Entwurfs-Bearbeitung zu Grunde gelegt. Hiernach benutzt die Anfangsstrecke der Bahn … auf etwa 450 m denselben Bahnkörper wie die nach Bergen geplante Linie, sie zweigt also wie diese kurz hinter der erweiterten Friedhofsanlage aus der Eckenheimer Vorortbahn ab, verläßt die Berger Linie bei Station 4 + 50, umgeht ein Grundstück, dessen freihändiger Erwerb zu angemessenen Preisen seither nicht möglich war, durchschneidet den Diebsgrundweg und erreicht, sich nördlich wendend, an der Einmündung der Karlstraße die Homburger Landstraße, die sie bis zu dem vertraglich festgelegten Endpunkt am Seckbacher Weg verfolgt.“ (ISG, a.a.O).
 

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Die gelbe Linie zeigt den Verlauf der dann verwirklichten Alternative

Ausdrücklich wird erwähnt, dass dies nur als provisorische Streckenführung gedacht war. Zwischen der Abzweigung von der Berger Linie und der Homburger Landstraße sollte sie auf einer Länge von 500 m wieder aufgehoben werden,

wenn die definitive nordsüdliche Führung der Anfangsstrecke nach dem Endpunkt der Linie 8 demnächst möglich wird. Die Baumaterialien der aufzuhebenden Strecke (Gleise, Oberleitung, Gestück) werden selbstredend alsdann anderweitig wieder Verwendung finden.  … Die Bahn hat eine Gesamtlänge von rd. 2,1 km. Die stärkste Steigung beträgt 1:27, die für elektrische Bahnen nicht übermäßig steil ist.... Die Gesamtkosten sind in dem beigefügten Anschlage zu 585.000 Mk. ermittelt.(ISG, a.a.O.).

Nachdem Magistrat und StVV den Bau im September 1910 beschlossen hatten, ist die Strecke nach Preungesheim am 1.11.1911 eröffnet worden
Ob die Planung für das neue Stadtviertel östlich des Hauptfriedhofs endgültig am Widerstand der Grundeigentümer scheiterte oder in den 20er oder 30er Jahren vielleicht in Widerspruch zu den Erweiterungsplänen für den Hauptfriedhof geraten war, ist nicht mit Sicherheit zu sagen, sie scheint aber Mitte der 20er ad acta gelegt worden zu sein. Es wurde zwar eine neue Straße von und nach Preungesheim östlich des Hauptfriedhofs – die Gießener Straße - angelegt, aber erstens auf anderer Trasse und zweitens vom Marbachweg (früher: Diebsgrundweg) her und zunächst nur bis zur Kaserne, dem heutigen  US-Generalkonsulat (ehm. Militärkrankenhaus dem späteren US General Hospital); erst in den 70er Jahren wurde sie zur Friedberger Landstraße verlängert.Für die Anbindung des ab 1907 stark erweiterten Hauptfriedhofes spielte die provisorische Endhaltestelle in der Rat-Beil-Straße – wenn sie dafür je von Bedeutung war - keine Rolle. Der Hauptfriedhof war in drei Etappen (1907-1912, 1927/28 und 1952-1955) nach Norden und Osten flächenmäßig stark erweitert worden. 1928/29 wurde außerdem der neue Jüdische Friedhof ebenfalls an der Eckenheimer Landstraße nördlich des neuen Hauptportals gebaut. Die Aufgabe der Strecke zur Rat-Beil-Straße war deshalb naheliegend und nur eine Frage der Zeit.
Die Zeit kam 1961. Hatte die Stilllegung ihren Grund in der geschilderten Planänderung, war ihr Anlass vermutlich der vierspurige Ausbau der B3 im Verlauf der Friedberger Landstraße zwischen Rat-Beil-Straße und Nibelungenplatz, der Umbau des Nibelungenplatzes und die Verbreiterung der Rat-Beil-Straße. Um 1960 war damit begonnen worden, die Bundesstraßen im Stadtgebiet nach und nach vierspurig auszubauen und die großen Kreuzungen autogerecht anzulegen. Zur Entlastung des Nibelungenplatzes wurde der Verkehr von der Adickesallee zur B3 Richtung Norden über die Richard-Wagner- und Rat-Beil-Straße geführt, wo der Verbleib der Straßenbahn gestört hätte. Hinzu kam, dass die Endstelle Rat-Beil-Straße eine simple Stumpfendstelle war, an der moderne Großraumzüge nicht wenden konnten; ihr Einsatz hätte den Bau einer Blockumfahrung durch die Kleiststraße vorausgesetzt, weil für eine Wendeschleife der erforderliche Platz fehlte.
Am 23.7.1914 hatte die StVV zwar noch 25.000 Mark für den Bau einer Gleisspitzkehre bewilligt, aber schon wenige Tage später begann der 1. Weltkrieg und die Gleisspitzkehre ist nicht mehr gebaut worden. Begründet hatte das Elektrizitäts- und Bahn seinen Etat-Antrag schon damals mit den unzureichenden Wendemöglichkeiten in der Rat-Beil-Straße.

"Der stetig zunehmende Verkehr auf der Straßenbahnlinie 8 (Ziegelhüttenweg – Friedhof Ost) erfordert in Zukunft während der verkehrsreichen Tagesstunden die Verwendung von Zügen mit zwei Anhängewagen, die in Abständen von etwa drei Minuten gefahren werden müssen. Für diesen dichten Wagenverkehr reicht die vorhandene Rangieranlage am Endpunkt in der Rat-Beil-Straße nicht mehr aus. Zur Erleichterung des Rangiergeschäfts und zur Sicherstellung des pünktlichen Abfahrens der Züge beabsichtigen wir daher … in der Kleiststraße eine Gleisspitzkehre herzustellen und gleichzeitig das vorhandene Stumpfgleis in der Rat-Beil-Straße zur zeitweisen Aufstellung von Anhängewagen zu verlängern. …"

Der Stadtverordnete Langgemach äußerte dazu außerdem die Erwartung, dass dadurch für die Schaffner und Wagenführer eine kleine Erholungspause eintreten werde. (ISG, Akte der StVV 1.092, Bl. 346 ff. Bericht vom 15.7.1914. Beschluss § 706 vom  23.7.1914)
Die Entscheidung, den Streckenabschnitt von der Kreuzung Rohrbach-/Glauburgstraße über den Nibelungenplatz bis zur Endstation nach nicht ganz 57 Jahren am 27.5.1961 stillzulegen, dürfte der Straßenbahnverwaltung deshalb nicht schwer gefallen sein. Die Oberleitung ist danach sehr rasch abgebaut  worden, die Gleise lagen noch einige Jahre und sind bloß überteert worden.
Die Entscheidung, den Streckenabschnitt von der Kreuzung Rohrbach-/Glauburgstraße über den Nibelungenplatz bis zur Endstation nach nicht ganz 57 Jahren am 27.5.1961 stillzulegen, dürfte der Straßenbahnverwaltung deshalb nicht schwer gefallen sein. Gleise und Oberleitung sind danach sehr rasch abgebaut worden.
In der Friedberger Landstraße ist der Verkehr von der Buslinie 64 übernommen worden. Die frühere Buslinie G, alias 57, wurde mit der Einstellung der Linie 11 in Linie 64 umbenannt. Während die Linie 57 normal am Nibelungenplatz endete und ab 1958 nur in der HVZ bis zur Konstablerwache verkehrte, fuhr die Linie 64 ganztägig bis zur Konstablerwache durch; außerdem wurde sie im Takt verdichtet, weil ihr nun die Hauptlast des Verkehrs auf der Friedberger Landstraße übertragen wurde. Man könnte sagen, die Linie 11 ist auf der Friedberger Landstraße durch die Linie 64 ersetzt worden.
Zuletzt war es die Buslinie 63 die vom Weißen-Stein kommend in der Hauptverkehrszeit ihre Endstelle in der Rat-Beil Straße hatte.

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Nur wer sehr genau hinschaut, kann die letzten Spuren des damaligen Straßenbahnbetriebs noch erkennen.
Wandrosetten sind noch erhalten an den Häusern Rat-Beil-Straße 3 und Kleiststr. 32, ansonsten sind nur noch einige Gewindebolzen stehen geblieben, an denen die Wandrosetten angeschraubt waren: Friedberger Landstraße 146, 148, 150, 214 und 224, Gellertstr. 1 sowie Kleiststr. 37. .

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[1] benannt nach Johann Adam Beil, der als Frankfurter Senator eine neue Friedhofsordnung einführte, die sich an zeitgemäßen Hygienevorschriften orientierte, und der den 1828 eröffneten Frankfurter Hauptfriedhof errichten ließ.
[2]Michelke/Jeanmarie, 100 Jahre Straßenbahn in Frankfurt am Main, 1991
 

© Matthias Hoffmann 03/2011